Schach um die Welt. Sydney! – Bericht von Sandra Schmidt

In Australien gibt es über 10.600 Strände. Das heißt man bräuchte über 29 Jahre, um jeden Tag einen anderen Strand auf dem roten Kontinent zu besuchen. Alleine in der Metropole Sydney gibt es mehr als 70 Strände. Und bei den angenehmen Temperaturen und Möglichkeiten die das Land bietet, können sich viele Leute sicherlich andere Sachen vorstellen, als 32 Figuren über 64 Quadrate zu bewegen.

Aber für mich ist Sydney die Stadt in der ich das Schach spielen für mich erst richtig entdeckt habe. Natürlich kannte ich vorher schon die Regeln. Aber das heißt ja nicht gleich, dass man Schach spielen kann. Für Außenstehende sah es sicherlich eher so aus als ob eine zufällig gewählte Figur auf ein zufällig auserwähltes Feld bewegt wird. Zufallsschach eben. Ich denke ich war sehr gut darin. Mein Interesse wuchs allerdings nachdem ich in Brandenburg an der Havel gegen FM Walter Günter beim Simultanschach verlor (Mein Vater Detlef Schmidt konnte ein Remis halten).

Und als ich durch den Hype Park in Sydney schlenderte konnte ich meine Augen kaum mehr von dem Riesenschachbrett (Big Board) abwenden, welches dort errichtet ist. Beinahe täglich genoss ich meinen morgendlichen Kaffee bei einer spannenden Partie zwischen zwei Spielern am großen Brett. Bis ich eines Tages selbst herausgefordert wurde. Das große Schachbrett ist unter einem riesigen Laubbaum angelegt, welcher nicht nur einen idyllischen Eindruck vermittelt sondern auch viel Schutz vor der australischen Sonne bietet. Darunter sind auch zwei kleinere Bretter die der Größe eines Turnierbrettes entsprechen. Es kommen täglich die gleichen Gesichter. Die Stammspieler kamen einst aus Österreich, Jugoslawien, Italien, Großbritannien, Chile, Russland, Griechenland, Mongolei, China, Indonesien, Malaysia und Deutschland nach Sydney. Es gibt Junge und Alte, Reiche und Arme, Locals und Weltreisende. Das macht diesen Ort so einzigartig und vielfältig in seiner ganzen Erscheinung. Viele haben eine bewegende Geschichte zu erzählen.

Tchuk zum Beispiel kam als illegaler Einwandere aus Hongkong nach Australien. Die Parkbank neben dem Schachbrett auf der tagsüber Touristen ihren heißen Kaffee genießen, war einst sein Bett für die Nacht. Auch Mike spielt hier Schach. Er kämpft nicht nur auf dem Brett gegen eine Niederlage, sondern auch im richtigen Leben. Seine Diagnose ist Krebs! Und Alfred der noch vor dem zweiten Weltkrieg von Deutschland nach Australien ausgewandert ist, kann man hier treffen. Er ist mit über 95 Jahren der älteste Schachspieler den ich kenne. Er hört schwer und sieht zerbrechlich aus, aber wer denkt, dass dieser Mann aufgrund seines beeindruckenden Alters ein leichter Gegner ist, der wird schnell eines Besseren belehrt werden. Auch das sogenannte „Blödsinn reden“ kann der äußerlich erscheinende Almöhi beim Blitzen immer noch sehr gut. Alfred, Josip (72 Jahre, Jogoslawien) und ich haben uns oft im McDonalds auf eine Blitzpartie getroffen.

Tony hat zwar auch einen weißen Bart, aber der kann nicht mit dem vom Alfred mithalten. Dafür sieht er aus wie ein Professor und ist auch einer in Chemie. Phillip der Australier ist glücklich obdachlos seit drei Jahren. Dave ist Millionär. Er hat sein Anwaltsbüro in der Georgestreet (teuerste Straße in Sydney, ungefähr so wie die Schlossallee bei Monopoly) und kommt immer zur Mittagspause in den Park um eine Partie zu beobachten oder selbst am BigBoard aktiv zu werden. Dann gibt es noch den „grummeligen“ Griechen. Ich weiß leider nicht wie er heißt, aber er kann jedes Spiel perfekt analysieren, kommentieren und beurteilen. Nur wenn er selber spielt ist er meistens nicht so gut. Das liegt dann aber daran, dass er gegen die Sonne spielen musste, hungrig war oder noch sehr müde ist. Leider konnte ich ihn nie in Topform beobachten. Manche nutzen das große Board wie eine Bühne. Besonders wenn viele Touristen zuschauen, ist die Show besser als im Zirkus. Tchuk sagt dann Sprüche wie „Chess is very simple“, „Too many options“ und „I never lost a game in my life“. Josip ursprünglich aus Jugoslawien zieht seinen Hut, vor dem Publikum immer wenn er gewinnt. Es gibt noch so viele mehr die beinahe täglich da sind. Und jeder von ihnen ist besonders.

Dennoch teilen am Board alle die gleiche Leidenschaft. Wenn die Sonne untergeht, wird im Untergrund weiter geblitzt. Der befindet sich unter der wunderschönen Town Hall wo die regionalen Züge verkehren. Viele Spieler haben ihre eigenen Bretter und Uhren mit. Wer keine hat, gesellt sich trotzdem einfach dazu. Dann gilt die Regel „Winner Stays“. Der Gewinner bleibt sitzen und der Verlierer muss seinen Platz freigeben. Bei einem Remis darf der Spieler mit den schwarzen Figuren seinen Platz halten. Das „öffentliche Schach“ endet erst gegen 20 Uhr, wenn die Läden schließen. Dafür beginnt es am nächsten Morgen schon wieder um 8:30 am Big Board im Hyde Park. Sydney zu verlassen stimmte mich etwas melancholisch, aber jetzt freue ich mich sehr darauf den Melbourne Chessclub kennenzulernen. Er soll einer der Besten in der südlichen Hemisphäre sein. Vielleicht, wenn ich ganz lieb frage, darf ich dort endlich mal gegen einen GM spielen.

 

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